Gedanken zum Tourismus

Apropo Touris. Das ist hier schon ganz schön überraschend. Fast egal wo man hinkommt gibt es recht viel Tourismus. Aber 80% der Touris sind Schlitzaugen. Von den Reisen hier vor 15 Jahren hatte ich das anders in Erinnerung. Da waren einige westliche Touris unterwegs, aber es war überall überschaubar – bis auf Orte wie Bali. Nun rennen hier in Borneo auf den Berg (4.100m, Dauer 2 Tage) täglich rund 200 Leute. Ob das noch ein AH-Erlebnis ist, wenn man mit 200 Leuten auf dem Gipfel sitzt und den Sonnenaufgang anschaut? Oder schaut man sich da nicht besser einen Film zu Hause an? Zu der „Organ-Utan-Auswilderungsstation“ auf Borneo (oh, das hört sich schön abgelegen, einsam und interessant an) fahren täglich ca. 100 Leute um den Affen bei der Fütterung zuzuschauen. 100??? Täglich??? Scheinbar haben sich die Asiaten in den letzten 15 Jahren ordentlich vermehrt, dazu hat sich das Pro-Kopf-Einkommen deutlich erhöht. Damit reisen viel mehr Asiaten durch die Gegend, und klar, die reisen erst einmal in Asien rum. Bis 2050 sollen die sich nochmals in der Anzahl verdoppeln, dazu der gestiegene Lebensstandard und das günstige Reisen mit guter Infrastruktur dürfte die meisten schönen Orte in absolute Massentouristenzentren verwandeln. Ob ich dann noch Lust hätte, hier rumzureisen? Schon jetzt finde ich es doch befremdlich, dass so viele Leute hier unterwegs sind und der kommerzielle Tourismus so ausgebaut ist. Überall massig Hotel, Gruppentouren etc. pp.

Generell ist das Reisen anders als vor 15 Jahren – vor dem Internet. Hat das Internet auch diesen Teil des Lebens, der Welt so dramatisch verändert? JA! Früher war das so: Karte aufschlagen. Hm, wo könnte es schön sein? Da ist ein Dorf oder sowas am Wasser. Also hin. Wie? Lonely Planet oder Let’s Go, hm, Basisinfos da kann man hin. Also durchfragen, wie man da hinkommt, Chickenbus. Nach 12 Stunden angekommen – fettich und orientierungslos. Rumfragen und laufen, wo man ist, wo eine Unterkunft sein kann. Wenn man Glück hatte, konnte man zwischen 2-3 Backpackerverschlägen auswählen. Welches hat weniger Schimmel, das nehmen wir. Noch ne Bierchen (glücklich wenn es sogar gekühlt ist) mit den 4 anderen komischen Touris aus XY trinken und über Orte, Reisemöglichkeiten etc. pp geplaudert. Dazu ein paar spannende private Geschichten. Fertig, aber glücklich eingeschlafen!

Heute: Wo soll es hingehen. Ah, da gibt es schon in der Stadt vorher Touranbieter zu. Paketreisen zum „abgelegenen Geheimtipp“. Also Laptop aufgeschlagen und gegoogelt. 15 min. später hat man alle Infos zu dem Ort und wie man da hinkommt. Expressbus  2 Stunden. Ortsplan liegt vor. Hotels online gebucht bei Agoda. Google-Maps zeigt alle Ortspläne, gerne auch noch als Satelitenbild mit Superhochauflösung, dass man die einzelnen Essenstände auf der Strasse schon vorher anschauen kann, was so angeboten wird und wie die Preise zum Zeitpunkt der Aufnahme waren. Dazu noch Google-Bilder, da sieht man, wie es aussieht. Von links, rechts, vorne, hinten, vor 10 Jahren und gestern. Aus Sicht des Tourverkäufers und aus Sicht der Touris, die die Bilder online gestellt haben. Vom Hotel in den Bus, ab in das Mittelklassehotel (Backpackerschimmelläden haben nicht so oft Online-Buchungen). Angekommen direkt wieder den Tour-Agent am Arsch, der einen die lokalen Dinge anbietet. Im Hotel 200 Pläne der Stadt, wo welcher Markt ist etc. pp. Dazu zu jedem Scheissladen der Stadt, egal ob interessant oder nicht, ein Hochglanzflyer mit den tollsten Bildern und der Beschreibung, dass es das einmaligste überhaupt ist und man da unbedingt hin muss. Erst einmal online gehen und bei Tripadvisor schauen, was denn die Leute dazu sagen. 1.493 Reviews mit Bewertungspunkten durchsehen und nach den Kriterienkatalog schauen, ob es auch spannend für Alleinreisende-Pärchen-zwischen-30und40-eurasischer-Herkunft-mit-mittlerer-Reiseerfahrung-und-höherem-Einkommen ist. Der Filter sagt = Ja, kann man sich anschauen. Also hin und mit ca. 200 Online-Touris gemeinsam Fotografieren, Filmen, direkt in Facebook und Blogs mit dem lokalen-Jungel-Camp-W-Lan übers Smartphone hochladen. Zurück im Bus ins Hotel, ne Gin-Tonic auf dem Zimmer getrunken, da die Bar eh leer ist, da ja alle auf den Zimmern online sind. Eingeschlagen nach 2 Stunden mit langsamen Internet und Verbindungsabbrüchen. Und? Was erlebt? Hm, gute Frage. Gesprochen hat man nur mit Touriführen. Fragen muss man auch niemanden, denn das ist entweder organsiert oder stand ja im Internet. Unterhalten über andere Orte mit anderen – Fehlanzeige, denn die waren ja auch vorher online. Also brauch man das ja nicht. Darüber auch keine privaten Geschichten, denn wieso soll man jemanden anlabern um den verbalen, privaten Abfall loszuwerden?

Und, war es früher besser? Hm, es ist heute einfacher – viel einfacher. Aber es wirkt auch einsamer, nicht mehr so abenteuerlich. Man weiß ja vorher schon, was auf einen zukommt. Wie lange dauert es wohl noch, bis man nur noch virtuell auf Reise geht? Da bucht man 1 Woche Borneo. Ab in einen 4D-Raum. Wände sind Videoleinwäde 3D, dazu rüttelt der Stuhl und aus Düsen kommt der Geruch dazu. In 4 Stunden gibt es dann eine Woche Borneo. Man spart sich halt die Zeiten für Übernachtungen, Flug, Essen, Transport. Die zwei Tage Bergbesteigung macht man in 8 Minuten. Runter kann man rausschneiden, denn man will ja eigentlich nur hoch. Zum Abschluss dann noch nebenan im Restaurant einmal „Borneo-Chicken-Currey“ mit Reis. Und ab nach Hause.

Da müssen wir wohl schauen, dass wir noch einsamerer Gegenden finden. Aber gibt es die noch auf der Welt? Nordkorea? Afghanistan? Brunei?

 

Über Timo

Der, der mit Moni rumfährt.
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